Genüsslich gähnen

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Wir tun es, wenn wir müde sind, gelangweilt oder gestresst. Oder weil es jemand vormacht. Aber warum eigentlich? Gehen wir dem Gähnen doch mal auf den Grund

Ah-Ohaha. Dieses Geräusch kennt jeder, und jeder gibt es von sich. Wir können nicht anders. Gähnen ist ein Reflex, ähnlich wie Blinzeln oder Niesen. Es steckt also ein tieferer Sinn darin, dass wir – durchschnittlich zehn Mal am Tag – den Mund weit aufsperren, dabei tief ein­atmen, um hinterher langsam und schnurrend wieder auszuhauchen. Im Lauf eines Lebens kommen wir auf 250.000 Gähner; jeder einzelne davon dauert rund 6,5 Sekunden. Manchmal recken und strecken wir uns auch dabei. Dass Gähnen als ein Wachmacher mit Wellness-Faktor gilt, können Experten bestätigen – wenn auch nur teilweise.

Stoßlüften im Gehirn

Gähn-Forschung – die gibt’s tatsächlich und heißt in der Fachsprache »Chasmologie«. Chasma ist lateinisch und bedeutet so viel wie »offener Mund«. Sogenannte Chasmologen ermuntern uns zum genüsslichen Gähnen. Dadurch weiten sich nämlich die Atemwege, die Lunge wird kräftig durchgepustet. Die Blutzirkulation bekommt einen Schub und hält alle Organe auf Trab – auch das Gehirn. Laut Wissenschaft ist Gähnen wie ein Stoßlüften im Oberstübchen. Der »frische Wind« hat einen Abkühl-Effekt und schützt den Kopf vor Überhitzung. Unser Denkapparat reagiert eben empfindlich auf die kleinste Veränderung. Bei Angst, Aufregung oder Stress steigt die Hirntemperatur, wodurch die Nervenzellen müde werden. Gähnen weckt sie wieder auf. So kommt es, dass wir in den unpassendsten Momenten reflexartig das tun müssen, was im Normalzustand eher ein Ausdruck von Müdigkeit ist. Gähnen hat also nur bedingt etwas mit Schläfrigkeit zu tun. In den Abendstunden fördert es zwar die Produktion von Melatonin, unseres Schlaf-Botenstoffs. Ist aber eine gesteigerte Aufmerksamkeit gefragt, bauen wir durch das Gähnen Stresshormone ab, damit wir raus aus dem Hitzkopf-Modus kommen und fokussiert denken können.

Pure Entspannung

Gähnen hat für unsere mentale Gesundheit viel Gutes – auch für die körperliche. Alle Gesichtsmuskeln dehnen sich, die Anspannung in Hals, Nacken und Schultern lässt nach. Obendrein können sich Blockaden in den Gehörgängen lösen. Das ist der Grund, warum wir bei verändertem Luftdruck herzhaft gähnen – etwa im Flugzeug oder auf Straßen mit Steigung. Die Augen dabei offen zu halten, ist gar nicht so einfach. Meist sind sie geschlossen und tränen sogar, damit sie nicht austrocknen und unsere gute Sicht erhalten bleibt. Obwohl es die pure Entspannung im Schnelldurchgang ist, hat Gähnen einen paradoxen Ruf. In Gesellschaft gilt es als unhöflich – zu Unrecht, weil wir uns dadurch beruhigen – zum anderen ist es hochansteckend.

Zeichen des Mitgefühls

Gähnt einer, gähnen (fast) alle. Studien zufolge ist die Ansteckungsgefahr bei gegenseitiger Sympathie am größten. Je inniger die emotionale Bindung zu unserem Gegenüber ist, desto größer wird die Chance aufs Synchron-Gähnen. Selbst Haustiere, vorwiegend Hunde und Katzen, stimmen mit ein, wenn wir es ihnen vormachen. Evolutionsbiologen meinen, dass dieser Gruppeneffekt dazu dient, um auszudrücken: Wir gehören zusammen.

Quelle: S&D Verlag GmbH, Geldern – leserservice.sud-verlag.de

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