Wenn Diabetiker sich überfordert fühlen

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Wenn Diabetiker sich überfordert fühlen

Das tägliche Ringen um gute Blutzuckerwerte ist eine Herausforderung, die mürbe machen kann. Bei Anzeichen von Überforderung sollten Betroffene mit ihrem Arzt sprechen. Denn ein Erschöpfungssyndrom oder „Diabetes-Burnout“ kann die Stoffwechselerkrankung noch verschlimmern.

Läuft alles rund im Leben, dann taucht das Problem kaum auf. Aber manchmal kommt einfach alles zusammen. Bei Jutta Sanus zum Beispiel: Die kranke Mutter braucht Pflege, im Beruf häufen sich die Anforderungen – und dann kommt auch noch der Diabetes hinzu. Ihr wird das alles zu viel. „Diabetes ist eine chronische Erkrankung, für die man jeden Tag etwas tun muss“, sagt der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Psychologie bei der Deutschen Diabetes-Gesellschaft, Dr. Bernhard Kulzer. „Das bedeutet zusätzlichen Stress, der zu Überforderung führen kann.“ Fachleute nennen das „Diabetes-related distress“.

Wenn alles zur Last wird

Typische Symptome eines Burnouts sind zunehmend negative Gefühle und Überdruss, sie zeigen sich auch im Umgang mit dem Diabetes. Ein Warnsignal ist zum Beispiel, wenn sich die Einstellung zur Erkrankung ins Negative wandelt. „Der Diabetes läuft nicht mehr nebenbei, er wird zur Last, kostet mehr Energie als zuvor“, beschreibt Kulzer erste Anzeichen. Die Haltung wird immer abwehrender. „Man denkt über das Diabetes-Management in zunehmend abfälligen Kategorien wie: Das Messen nervt, ich will die Werte gar nicht sehen, schon wieder schlechte Werte“, sagt der Fachpsychologe.

Blutzuckerwerte entgleisen

Hinzu kommen Verhaltensänderungen: Bei Stress, Überlastung und Niedergeschlagenheit essen und rauchen Betroffene mehr und bewegen sich weniger. Die Blutzuckerkontrolle wird nachlässiger. „Bis das Insulin nicht mehr nach dem gewohnten Schema, sondern in unregelmäßigen Abständen gespritzt wird“, so Kulzer. Spätestens jetzt wird es für die Gesundheit gefährlich, weil die Blutzuckerwerte steigen und entgleisen können. Erhöhte Werte wiederum beeinträchtigen das Wohlbefinden, was den Umgang mit der Krankheit weiter verschlechtert – ein Negativkreislauf entsteht. Er vergrößert auch das Risiko für Diabetes-Folgeerkrankungen wie Schäden an den Augen, dem „Diabetischen-Fußsyndrom“ und den Nieren. So weit sollte es nicht kommen.

Erste Anzeichen ernst nehmen

Das Problem aussitzen und auf Besserung hoffen ist keine gute Strategie. Wer Anzeichen eines Burnouts bemerkt, sollte einen Diabetesberater oder Diabetologen aufsuchen. Ein Fragebogen-Test im Internet gibt eine erste Orientierung, ob eine Gefährdung vorliegt (www.diabetes-psychologie.de/downloads/PAID.pdf). „Ist dies der Fall, hilft eine strukturierte Beratung, Veränderungsprozesse anzustoßen“, erklärt Dr. Bernhard Kulzer. Die Diabetes-Akademie Bad Mergentheim hat dazu die zehnstündige Kurztherapie DIAMOS (Diabetesmotivation stärken) entwickelt, und zwar im Rahmen des vom Bundesforschungsministerium finanzierten „Kompetenznetzes Diabetes“. Moderne Diabetesschulungen bieten ebenfalls häufig Unterstützung.

Wie eine Beratung helfen kann

Ziel der Beratung ist, Stressquellen zu beseitigen und Ressourcen zu stärken. Zu häufigen Stressquellen zählt etwa die mangelnde Fähigkeit, nein zu sagen, oder auch ein übertrieben perfektionistischer Umgang mit Diabetes. „Einige Patienten versuchen, jeden Diabeteswert zu erklären“, erläutert Kulzer. „Doch die Erkrankung ist nicht hundertprozentig kontrollierbar.“ Auch die Verheimlichung des Diabetes am Arbeitsplatz kann belasten. „Häufig ist es einfacher, sich zu outen. Dann kann man entspannt auch im Beisein von Kollegen messen und essen“, sagt der Experte. Gemeinsam mit dem Berater sollten Betroffene in fünf Schritten Probleme identifizieren, Lösungsstrategien erarbeiten, negative Einstellungen verändern und Ressourcen aktivieren. „Am Ende steht eine Vereinbarung der konkreten Schritte, wie man Belastungen im Alltag reduzieren kann“, so Kulzer. Dass dies funktioniert, zeigt eine DIAMOS-Studie: Die Kurz-Intervention konnte die Lebensqualität bei Diabetespatienten erfolgreich verbessern.

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