Alzheimer früher erkennen

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Eine zuverlässige und frühe Diagnose ist wichtig, um Alzheimer besser behandeln zu können. Forscher haben im Nervenwasser einen Eiweißstoff entdeckt, der noch vor dem Auftreten erster Symptome auf die Krankheit hinweisen könnte.

In Deutschland leben mehr als 1,5 Millionen Menschen mit einer Demenz. Viele von ihnen sind von Alzheimer betroffen. Diese neurodegenerative Erkrankung schädigt Zellen des Gehirns und lässt sie nach und nach absterben – ein schleichender Vorgang, der über Jahre unbemerkt bleiben kann. Schuld daran ist die enorme Anpassungsfähigkeit des menschlichen Gehirns: Es kann den Verlust von Nervenzellen in einem gewissen Maße ausgleichen. Erst wenn solche Ausfälle überhandnehmen, machen sich Gedächtnisprobleme oder andere Auffälligkeiten bemerkbar, die für Alzheimer typisch sind.

Gehen die Betroffenen dann zum Arzt, hat die Erkrankung bereits umfangreiche Zerstörungen angerichtet. „Alzheimer wird viel zu spät erkannt, um noch eine effiziente Therapie zu ermöglichen. Wir benötigen dringend eine zuverlässige Frühdiagnostik“, sagt Professor Christian Haass vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in München. „Zwar ist Alzheimer bislang nicht heilbar. Aber eine Diagnose und Behandlung im Anfangsstadium würde die Chancen verbessern, auf die Erkrankung effektiver einzuwirken.“

Analyse des Nervenwassers

Eine Analyse des Nervenwassers könnte dafür möglicherweise wichtige Hinweise liefern. In dieser Körperflüssigkeit – sie umspült Gehirn und Rückenmark und kann über einen Einstich im Bereich der Lendenwirbel entnommen werden – entdeckte Haass gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen Vorboten einer Alzheimer-Erkrankung. An der Studie war auch eine Arbeitsgruppe um Professor Michael Ewers vom Institut für Schlaganfall und Demenzforschung (ISD) am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) beteiligt.

Die Untersuchungen fanden im Rahmen einer internationalen Forschungsinitiative statt: dem Dominantly Inherited Alzheimer Network (DIAN). In deren Fokus steht die vererbte, auch „familiär“ genannte Form der Alzheimer-Erkrankung. Davon betroffene Personen weisen in ihrem Erbgut bestimmte Gendefekte auf, die eine Alzheimer-Demenz früher oder später auslösen. Im Allgemeinen geschieht dies zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr. „In einzelnen Familien lässt sich der Zeitpunkt sehr genau vorhersagen. Denn erfahrungsgemäß treten die Symptome in ähnlichem Alter auf wie bei bereits erkrankten Verwandten“, so Haass.

Die Münchner Forscher untersuchten rund 130 Personen mit einer erblichen Veranlagung für Alzheimer. Zu diesem Zeitpunkt zeigte die Mehrheit keine Anzeichen einer Demenz oder allenfalls geringe kognitive Beeinträchtigungen. Doch im Nervenwasser gab es Auffälligkeiten: Bereits rund fünf Jahre vor dem erwarteten Ausbruch von Alzheimer-Symptomen stieg der Pegel des Eiweißstoffes TREM2.

Auffällige Immunreaktion

Dieses Protein wird von Fresszellen des Gehirns abgesondert: den Mikroglia. Sie zählen zum Immunsystem und tragen dazu bei, das Gehirn funktionsfähig zu halten – zum Beispiel, indem sie zelluläre Abfallprodukte aus dem Weg räumen. „In den letzten Jahren hat sich herausgestellt, dass die Alzheimer-Erkrankung mit einer Entzündung des Gehirns einhergeht, welche die Nervenzellen beschädigt und somit die Krankheitsentwicklung beeinflusst. Unsere Ergebnisse belegen, dass solche Immunreaktionen bereits im Frühstadium einsetzen“, erläutert Haass. Der erhöhte TREM2-Pegel deute darauf hin, dass bei der erblichen Alzheimer-Variante die Fresszellen des Gehirns aktiv werden, lange bevor die Erkrankung offensichtlich wird. Außerdem fanden Haass und sein Team heraus, dass auch bei Menschen, die an der weitaus häufigeren „sporadisch“ genannten Form der Alzheimer-Demenz erkranken, die Konzentration des TREM2-Proteins zu einem sehr frühen Zeitpunkt ansteigt.

Die Konzentration des Eiweißstoffes könnte ein Biomarker sein – eine Messgröße, die Auskunft darüber gibt, ob im Gehirn Immunreaktionen stattfinden. „Der TREM2-Wert ist ein Marker für den Aktivierungszustand der Mikroglia. Informationen darüber könnten in die Diagnose einer Alzheimer-Erkrankung einfließen“, so der Neurowissenschaftler. Vor allem aber könnte der TREM2-Wert als therapeutischer Marker geeignet sein. Haass: „Anhand der TREM2-Konzentration lässt sich möglicherweise die Entwicklung von Immunreaktionen überwachen und daran wiederum ablesen, ob eine Behandlung anschlägt oder nicht.“

Ansatzpunkt für künftige Medikamente

Möglichkeiten für die Therapie sieht der Forscher auch in der Reaktion der Mikroglia. Es gebe Hinweise dafür, dass diese Immunreaktion den Verlauf der Erkrankung bremsen kann – im Zuge der Erkrankung jedoch nachlässt. Haass: „Wir arbeiten daher an Wirkstoffen, um die Aktivität der Fresszellen zu erhöhen. Denn sie attackieren schädliche Proteine, die sich bei einer Alzheimer-Erkrankung rund um die Nervenzellen ansammeln.“

Quelle: Gebr. Storck GmbH, Oberhausen