Macht Stress dick?

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Jeder Zweite in Deutschland ist übergewichtig.
Ebenso viele fühlen sich überlastet. Besteht ein Zusammenhang?

Das Leben kann ungerecht sein: Wir rackern uns ab – für den Job, für die Familie, für den Haushalt. Wir halten Straßenlärm aus und sorgen uns um die Rente. Zu allem Überfluss können wir nachts kaum noch schlafen und nehmen zu. Dass Stress auf Dauer krank macht, wissen wir. Hormonforscher bestätigen jetzt, dass seelische Belastungen auch das Gewicht beeinflussen. Die einen werden dick, bei den anderen purzeln die Pfunde. Woran liegt das? Wir haben den Stress-Experten Professor Matthias Weber, Leiter der Abteilung für Endokrinologie in der Universitätsklinik Mainz, gefragt.

Herr Professor Weber, was macht Stress mit uns?

Prof. Matthias Weber: Stress ist nicht von Grund auf schlecht. Er hilft uns, Herausforderungen im Leben zu meistern. Stress kann uns beflügeln, dann sprechen wir von positivem Stress, im Fachjargon Eustress genannt. Wenn wir aber psychischen Druck und vor allem große fremdbestimmte Belastung meinen, dann ist es negativer Stress: Distress.

Stress – ob positiv oder negativ – bewirkt immer eine Hormonausschüttung: Adrenalin, Noradrenalin und Kortisol. Diese Botenstoffe geben uns Kraft. Sie lassen den Blutzucker steigen, erhöhen den Blutdruck und aktivieren unsere Sinne. Hellhörig müssen wir werden, wenn der Druck zu lange anhält und Entspannungsphasen fehlen. Wenn wir ständig unter Anspannung stehen, uns immer Sorgen machen und nicht abschalten können, dann läuft der Körper permanent auf Hochtouren. Das ist eine Belastung für den gesamten Organismus. Der Fachmann sagt: Die Stressachse ist gestört. Wenn dauerhaft zu viel vom Stresshormon Kortisol im Blut ist, dann ist die Gesundheit in Gefahr. Oft beginnt es mit Schlafstörungen, gereizter Stimmung. Auf lange Sicht leidet das Immunsystem. Wir werden anfällig für Infekte, Wunden heilen schlecht. Der Stoffwechsel gerät aus dem Takt. Viele haben Heißhunger, besonders auf Fettiges oder Süßes. Es ist bewiesen, dass Dauer-Stress unsere Ernährungsweise und unsere Vorlieben verändern kann.

Warum hat Stress diese Auswirkungen auf unser Essverhalten?

Prof. Matthias Weber: Wenn wir oft unter Stress stehen, stellt sich der Körper darauf ein. Er ist in ständiger Alarmbereitschaft, schnell alle Kräfte zu mobilisieren. Dafür braucht er Energie und weckt in uns den Heißhunger. Unser Belohnungszentrum im Gehirn verlangt nach Befriedigung – oft in Form von Süßigkeiten. Stress-Esser können an Keks-Dosen kaum vorbeigehen. Sie glauben, sie brauchen viel »Nervennahrung«. Tatsächlich kann das Gehirn gar nicht so viel Kraftstoff verarbeiten. Die Kalorien landen woanders: auf den Hüften. Fatal: Kortisol, das Stresshormon, fördert die Einlagerung von Bauchfett. Bauchfett belastet das Herz-Kreislauf-System enorm und fördert Diabetes. Sogar das Alzheimer-Risiko steigt.

Stress macht also dick – aber nicht jeden. Warum nehmen die einen zu und andere verlieren
an Gewicht?

Prof. Matthias Weber: Es gibt die Vermutung, es könne an den Darmbakterien liegen. Wissenschaftlich erforscht ist es aber noch nicht. Der Umgang mit Stress ist meiner Meinung nach vielmehr eine Frage der Persönlichkeit. Neben den Stress-Essern gibt es Menschen, die in Belastungssituationen kaum einen Bissen herunterbekommen und abnehmen. Natürlich ist es von Vorteil, sich nicht wahllos alles in den Mund zu schieben. Dennoch hat das Stresshormon Kortisol auf Dauer schädliche Auswirkungen – sowohl auf den Stress-Esser als auch auf den Essens-Verweigerer.

Wozu raten Sie? Wie können wir Stress reduzieren?

Prof. Matthias Weber: Auch das ist eine individuelle Angelegenheit. Die einen sind musisch veranlagt und kommen bei Musik, beim Malen und Zeichnen zur Ruhe. Andere brauchen mehr Dynamik und können beim Sport am besten entspannen. Grundsätzlich ist körperliche Bewegung die effektivste Art, um unseren psychischen Stress abzubauen. Gleichzeitig können wir dem Heißhunger sprichwörtlich »davonlaufen« und so eine Gewichtszunahme verhindern. Mein Tipp: Joggen im Wald, weil auch die Natur entspannt. Die Farbe Grün hat eine beruhigende Wirkung auf Körper und Geist. Danach tut ein Entspannungsbad sicherlich gut. Dies sind meine Vorschläge. Niemand muss alle Tipps befolgen. Sonst artet selbst die Erholung in Stress aus. Tun Sie nur das, was Ihnen gut tut.

Quelle: S&D Verlag GmbH, Geldern – https://leserservice.sud-verlag.de

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