Fliegen ohne Furcht

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Start, Landung und dazwischen womöglich Turbulenzen. Da ist vielen Fluggästen etwas mulmig zumute. Etwa jeder Vierte kennt dieses bange Gefühl im Flieger. Bei zehn Prozent von ihnen spricht man sogar von einer echten Flugangst, medizinisch Aviophobie genannt. Und die Symptome gehen weit über kurze Momente der Anspannung hinaus – meist beginnen sie schon am Boden.

Fliegen gehört für die wenigsten Menschen zum Alltag – es ist etwas Be­sonderes. Schon am Flughafen sind wir ­mit außergewöhnlichen Szenen konfrontiert: Check-in, Sicherheitskon­trolle und dann die vielen Reisenden, die sich im Terminal lautstark tummeln. »Wir haben hier eine ganze Abfolge von ­potenziell angstauslösenden Situationen, die das Anspannungs­ni­veau deutlich erhöhen können«, weiß Dr. Udo Wortelboer, Facharzt ­für Psy­chia­­trie und Psychotherapie. Viel Stress also, bevor es überhaupt hoch ­in die Lüfte geht.

Auch wenn wir immer wieder hören, wie sicher Fliegen im Vergleich zu anderen Transportarten ist, kennen viele diese Angst, dass etwas passieren könnte, nicht nur wegen der Höhe. Besonders bei Auf- und Abwinden, sogenannten »Luftlöchern«, die das Flugzeug zum Ruckeln bringen, setzen bei manchen Passagieren »katastrophisierende Gedanken ein – bis hin zu einer Panikattacke«, weiß der Psychotherapeut. »Was ist, wenn wir abstürzen?«, ist die beklemmendste aller Fragen. ­Hinzu kommen Herzrasen, Atemnot, Schmerzen in der Brust und ein flaues Gefühl im Magen. Eine höchst unangenehme Lage für Betroffene – mit Folgen. 

Denn eine handfeste Flugphobie besteht auch außerhalb der eigentlichen Situati­on. Schon bei der Planung einer Flugrei­se kann sich Angst breitmachen, und beim bloßen Anblick des Jets zittern die Hände. Typischerweise vermeiden Aviophobiker jeglichen Kon­takt mit Flug­maschinen. Dass sie sich da­durch unvergessliche Urlaubserlebnisse verwehren, nehmen sie in Kauf. Über professionelle Hilfe nachzudenken, lohnt sich, wenn die Angst derart stark ist.

Wie andere Angststörungen auch, wird die Flugphobie in der Regel nach den Prinzipien der kognitiven Verhaltenstherapie behandelt. Im Rahmen eines ein- bis zweitägigen Flugangst-Seminars informieren Fachärzte zunächst über Ängste und ihre Entstehung, auch die objektiv hohe Sicherheit beim Fliegen ist ein Thema. »Im Zentrum steht jedoch die Konfrontation mit der angstauslösenden Situation«, erklärt Dr. Udo Wortelboer. Flugangst-Seminare finden daher oft in Kooperation mit Fluglinien statt und enden mit einem Rundflug.

Eine ganz neue Form der Flugangst-Behandlung bringt die VR-Brille ins Spiel. VR steht übersetzt für »virtuelle Realität«, die es ermöglicht, in eine dreidimensionale digitale Welt einzutauchen und dabei Erfahrungen zu sammeln. Mithilfe der VR-Brille wird die gesamte Abwicklung realitätsnah simuliert – vom Einchecken, dem Betreten des Flugzeugs bis zum Start und zur Landung. Moderne VR-Systeme setzen zudem sogenannte vibrotaktile Elemente in Handschuhen, Westen oder Stühlen ein und ahmen so die Bewegungen eines Flugzeuges nach. »Außerhalb der Forschung ist die VR-Therapie bei Flugangst allerdings kaum verfügbar«, bedauert Dr. Wortelboer. Er rechnet jedoch damit, dass sich dies demnächst ändert. Unter anderem weil ein simulierter Flug wesentlich kostengünstiger ist als ein echter. Außerdem liegen die Vorteile auf der Hand: Via VR lassen sich angstauslösende Flugsituationen individuell anpassen. Patienten können beliebig oft damit üben und schnell Fortschritte machen – um sich letztlich hoffentlich doch noch Reiseträume zu erfüllen, etwa in der Karibik …

Quelle: S&D Verlag GmbH, Geldern – leserservice.sud-verlag.de

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