Schön schauderhaft – Ängste besiegen

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Obwohl sie uns erschrecken, ziehen uns Monster, Geisterbahnen und Horrorfilme in ihren Bann – nicht nur zu Halloween. Woher kommt diese Lust am Gruseln?

Was ein unheimlicher Ort: diese verlassene Villa mitten im finsteren Wald. Mit Spinnweben an den Fenstern, die im Mondlicht funkeln. Dahinter eine schemenhafte Gestalt. Jetzt ist sie verschwunden … Blätter rascheln. Ein Aufschrei.

Angstlust

Was ist da passiert? Szenen wie diese jagen uns eine Gänsehaut über den Rücken, und trotzdem machen sie uns eine irre Freude. Was reizt uns eigentlich derart an Schauergeschichten und Horrorfilmen, dass wir sie förmlich in uns aufsaugen und uns ihnen immer wieder aussetzen möchten? Laut Umfragen lesen nämlich die meisten Deutschen am liebsten Krimis und verfolgen im Fernsehen mit Spannung dramatisch dargestellte Mordfälle. Inzwischen sprießen auch True-Crime-Podcasts wie Pilze aus dem Boden. Eine Statistik sagt: Mehr als die Hälfte der Abonnenten mag daran besonders, dass wahre Verbrechen behandelt werden. Dieser inszenierte Thrill weckt in uns widersprüchliche Emotionen, für die Wissenschaftler sogar einen Namen haben: Angstlust.

Im Rausch der Gefühle

Grusel ist sozusagen der kleine Bruder der echten Furcht. Um dies noch besser zu verstehen, sollten wir wissen, was in einer realen Angstsituation mit uns passiert. Bei einer Bedrohung befiehlt das Gehirn dem Nebennierenmark, blitzschnell Adrenalin auszuschütten. Daraufhin wird im Bruchteil einer Sekunde der ganze Körper mit diesem Stresshormon geflutet. Es versetzt uns in allerhöchste Alarmbereitschaft. Schlagartig sind alle Sinne hellwach, die Muskeln angespannt wie ein Flitzbogen. Kämpfen, fliehen, retten und rennen – mehr zählt in diesem Moment nicht. Ist die Gefahr vorüber, belohnt uns das Gehirn mit einer großen Portion Endorphinen. Diese körpereigenen Opiate lassen den Dampf aus dem Kessel. Wir fühlen uns überglücklich und herrlich entspannt. Dieser Gefühlsrausch ist an sich für den Ernstfall gedacht. Doch wir haben eben gerne mehr davon, etwa in Form von Gruseln.

Adrenalin und Endorphine

Die Angstlust ist auch der Grund dafür, warum wir als Kinder Nachtwanderungen geliebt haben und auch noch später im Leben in der Achterbahn vor Begeisterung kreischen. Selbst zu Hause auf dem gemütlichen Sofa fiebern wir schrecklich gerne beim Actionfilm mit, bekommen feuchte Hände und reißen gespannt die Augen auf – als wäre alles echt. Wir bekommen den Adrenalinkick zusammen mit dem Endorphinstrudel also auch in einer fiktiven Notsituation. Denn unser Gehirn tut uns den Gefallen und mixt uns den begehrten Hormoncocktail, obwohl wir insgeheim wissen: Uns kann nichts passieren. Das ist nicht einfach nur nett von unserem Oberstübchen, dahinter steckt offenbar ein tieferer Sinn.

Nervenkitzel als Therapie

Forschern zufolge dient die Lust am Gruseln einer Art Training fürs Nervenkostüm. Vor allem bei unsicheren Menschen oder Patienten mit einer Angststörung kann so ein imaginäres Abenteuer wie eine Therapiesitzung wirken. Wir lernen dadurch, an unsere Grenzen zu gehen und unseren bisher womöglich eingeschränkten Radius zu erweitern. Kurz gesagt: Schreckgeschichten sollen uns mutiger machen, damit wir uns künftig Situationen stellen, denen wir im wahren Leben lieber aus dem Weg gehen. Voraussetzung ist immer, dass wir uns im Grunde genommen sicher fühlen und jederzeit den Film ausmachen oder das Buch zuklappen können. Auch in unseren ganz alten Märchen von früher ging es angeblich nicht bloß um den reinen Nervenkitzel. Schließlich lautete die Essenz doch immer: Das Gute wird über das Böse siegen.

Quelle: S&D Verlag GmbH, Geldern – leserservice.sud-verlag.de

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