
Wie ein gerupftes Huhn


Ob wir frösteln oder gerade viel im Herzen fühlen. Eine Gänsehaut überkommt uns aus verschiedenen Gründen. Aber was genau spielt sich da im Körper ab – und im Gehirn?
In diesen Momenten sehen wir aus wie ein gerupftes Federtier. So kam dieses Phänomen schließlich zu seinem Namen: Eine Gänsehaut, medizinisch Piloerektion genannt, ist eine Reaktion auf äußere Reize. Gesteuert wird dieser Reflex vom Musculus arrector pili, einem winzigen Muskelbündel, das an jedem Haarbalg fast überall im Körper sitzt und dafür sorgt, dass sich uns in ganz bestimmten Situationen die feinen Härchen auf Armen und Beinen kerzengerade aufstellen. Dabei werden die Haarfollikel nach oben gedrückt, die als kleine Höcker auf der Haut sichtbar sind. Verhindern oder gar bewusst erzeugen lässt sich die »Erpelpelle«, wie man flapsig sagt, nicht. Je nach Ursache genügt auch keine warme Jacke.
Haare hoch!
Kälte ist der naheliegendste Grund, warum uns die Haare zu Berge stehen. Unsere Nerven bemerken nämlich als Erstes, dass wir frieren, und befehlen dem Muskelkomplex unter der Haut: Haare hoch! Diese Funktion ist uns evolutionsbedingt in die Wiege gelegt. Für Steinzeitmenschen war sie elementar wichtig. Denn ihre Körperbehaarung war deutlich dichter als bei uns heute, und sie richtete sich bei einem frischen Windhauch schlagartig auf. So entstand ein wärmendes Luftpolster, das vor dem Auskühlen schützte. Die Gänsehaut an sich ist ein Überbleibsel aus der Entwicklungsgeschichte. Ihren eigentlichen Zweck erfüllt sie inzwischen nicht mehr. Dennoch ist sie uns erhalten geblieben und taucht auch in Momenten auf, die mit frostigen Temperaturen gar nichts zu tun haben.
Gefühle machen Gänsehaut
Ein schönes Lied kann ebenfalls der Auslöser einer Gänsehaut sein. Das liegt daran, dass Melodien bei den meisten von uns Gefühle hervorrufen. Wie Hirnforscher der Université de Bourgogne nämlich herausfanden, ist das menschliche Gehirn in der Lage, Klänge auf ihre emotionale Bedeutung hin zu interpretieren. Dringt ein Lied ans Ohr, schaltet sich das episodische Gedächtnis als Teil unseres Langzeitgedächtnisses ein. Das heißt, beim Musikhören können Erinnerungen aus dem eigenen Leben wach werden – traurige und auch freudige.
Hirnscans zeigen, dass manche Menschen sogar auffallend viele Verbindungen zwischen Hör- und Gefühlszentrum gebildet haben. Ihnen geht Musik besonders ans Herz und buchstäblich unter die Haut. Denn während wir Lieder etwa mit Liebe oder auch mit Leid verbinden, gibt das zentrale Nervensystem Signale an jenes Muskelbündel, das uns die Körperhaare aufrichtet. Ein Gänsehautmoment entsteht. Etwa 30 bis 50 Prozent der Menschen kennen das.
Aufregung, Angst und Ekel
Nicht nur die Sehnsucht, auch Angst, Ekel und ein Schreck sind so starke Emotionen, dass sie Noppen auf der Haut erzeugen können. Bei einer derartigen Aufregung nämlich ist der Sympathikus aktiviert; dieser hochaktive Nerv bewirkt die Ausschüttung von Stresshormonen. Adrenalin und Noradrenalin wiederum stimulieren sämtliche Muskeln des Körpers, auch die an den Haarfollikeln. Stehen uns die Haare wie Borsten ab, ist dies ein sichtbares Zeichen, dass wir innerlich in Aufruhr sind.
Manchmal ist dies sogar eine Begleiterscheinung von Erkrankungen, etwa bei einem Infekt und bei Fieber. Sie dient dann der körpereigenen Wärmeproduktion. Denn nur bei einer guten Durchblutung können unsere Abwehrzellen Erreger wirksam bekämpfen. Auch ein epileptischer Anfall kann mit aufgestellten Haaren einhergehen. Prinzipiell aber ist eine Gänsehaut harmlos und sie verschwindet von ganz allein wieder – meist schon nach wenigen Augenblicken.
Quelle: S&D Verlag GmbH, Geldern – leserservice.sud-verlag.de
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