Vom Lächeln in den Wolken

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Zwei Punkte und ein Strich – mehr braucht das Gehirn nicht. Gesichter können wir immer und überall erkennen, und müssen es sogar. Eine Pareidolie – wofür ist sie gut? 

Wenn uns der Cappuccino liebevoll zuzwinkert oder uns das Auto grimmig anschaut, haben wir zum Glück keine Meise, sondern ticken völlig normal. Pareidolie nennt sich dieses Phänomen, wenn wir Gesichter erkennen, wo gar keine sind. Übersetzt heißt Pareidolie so viel wie Sinnestäuschung oder Trugbild und ist eine Form der Illusion. Dahinter steckt ein ganz natürlicher Mechanismus, der sogar überlebenswichtig ist – für jeden von uns.

Gegenstände haben Gesichter

Forscher haben herausgefunden: Das Gehirn ist darauf programmiert, in fremden Formen etwas Vertrautes finden zu wollen. Dass wir uns ausgerechnet auf die Suche nach Gesichtern machen, hat evolutionäre Gründe. Für das soziale Zusammenleben ist es unerlässlich, bekannte Menschen identifizieren und von Feinden oder Angreifern unterscheiden zu können. Die einen geben uns Schutz, die anderen können eine Bedrohung darstellen. Blitzschnell die Mimik unseres Gegenübers zu interpretieren, ist also eine Fähigkeit, die uns angeboren ist und über Leben und Tod entscheiden kann. So weit, so nachvollziehbar. Aber was haben abstrakte Muster und alltägliche Gegenstände mit Gesichtszügen zu tun?

Zwei Punkte, Komma, Strich

Das liegt daran, dass in unserem Gehirn eine permanente Gesichtserkennung abläuft. Sämtliche visuellen Reize sortiert es nach Kategorien. Sobald er zwei Punkte, Komma und einen Strich registriert, geht unser Denkapparat von Augen, Nase und Mund aus. So kommt es, dass wir Gesichter in Wolkenformationen, auf Hauswänden und an Elektrogeräten sehen, wenn die Rahmenbedingungen dafür stimmen. Neurowissenschaftler, die mehr über diese besondere Form der Wahrnehmung erfahren wollten, konnten anhand von Hirnscans zeigen, dass exakt die gleiche Hirnregion aktiv wird – egal, ob wir in ein »echtes« Gesicht blicken oder nur ein vorgetäuschtes vor uns haben. Die Fusiform Face Area, zu Deutsch: das spindelförmige Gesichtsareal, befindet sich in der Großhirnrinde und ist gewissermaßen störanfällig. 

Überall Gesichter?

Übermüdung, Alkohol und der Konsum anderer Drogen können Gründe sein, warum die Gesichtserkennung außer Kontrolle gerät. Sich von Gesichtern verfolgt zu fühlen, die zudem furchteinflößend wirken, trägt die besondere Bezeichnung »Apophänie« und gilt als Warnsignal. Möglicherweise steckt ein psychisches Leiden dahinter. Im Allgemeinen vermutet man, dass bei ängstlichen und seelisch angespannten Menschen die Pareidolie besonders stark ausgeprägt ist. Manche Psychologen arbeiten gezielt mit dieser Fähigkeit und benutzen sogenannte Rorschach-Tests. Was Patienten in diesen symmetrischen Farbkleksen erkennen, soll Einblicke in die Persönlichkeit eines Menschen geben. Übrigens spielt auch die Automobilindustrie mit unserer Gabe, in Gegenständen Gesichter zu sehen, indem sie jedem Pkw ein eigenes Antlitz verleiht. Sportwagen haben in der Regel einen angriffslustigen und zähnefletschenden Ausdruck wie ein wildes Tier, während Kleinwagen eher lieblich »aus der Wäsche« schauen. Möglicherweise ist dies ein Grund, warum manche Halter eine persönliche Bindung zu ihrem fahrbaren Untersatz aufbauen. Es soll Autos geben, die haben – wegen ihres »Gesichtes« – sogar einen Kosenamen. 

Quelle: S&D Verlag GmbH, Geldern – leserservice.sud-verlag.de

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